EDDA JACHENS


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SCHUTZRÄUME DES SCHAUENS

„Wo alles erstarret, genieße das Bild“

(Goethe an Zelter, 1831)


Die neuesten Arbeiten von Edda Jachens zeigen Farben und Muster, von einer Wachsschicht überzogen. Der Prozess der Entstehung erfolgt in drei klar voneinander unterschiedenen Arbeitsschritten:

     Zunächst wird eine Farbe auf den Bildträger aufgetragen. Die uneingeschränkte Palette reicht von Primär-, Misch- und Pastell- bis hin zu Signalfarben. Darauf wird mit Hilfe selbst angefertigter Schablonen aus festem Karton ein Muster gezeichnet. Ein solches kann beispielsweise aus aneinander gereihten kleinen und darüber verschoben gelegten größeren Kreisformen bestehen. Wiewohl sich Serialität als das zugrundeliegende Prinzip zu erkennen gibt, ist sie nicht selbstreferenziell thematisiert. Als Ausschnitte aus einem großen, beliebig fortzusetzenden Ganzen gedacht, bleiben die Muster vielmehr bewusst einfach und in der Anfertigung wie im Erscheinungsbild kunstlos, den Ergebnissen erster Erkundigungen geometrischer Strukturen vergleichbar.

     Zuvor hat Edda Jachens geometrische Formen direkt auf grundiertes Holz gezeichnet, um sie anschließend getrennt voneinander und einzeln auszumalen zu einer Farbkomposition. Mit der Hinwendung zum Muster und seiner Aufzeichnung mittels Schablonen einher geht die Erweiterung ihrer Bildgründe, die dank einer verfeinerten Technik jetzt auch Leinwand und Büttenpapier einschließen.

     Abschließend werden die Bilder mit Paraffin überzogen, das erwärmt und in flüssigem Zustand aufgegossen oder - wie neuerdings bevorzugt - mit einem breiten, sehr feinhaarigen Pinsel gleichmäßig aufgestrichen wird. Abgekühlt und fest geworden, zeigt die Bildoberfläche jene mattseidene Konsistenz, die dem semitransparenten Material zueigen ist, und es zugleich als hochempfindlich gegenüber jeglicher Berührung ausweist. Die Nachbehandlung mit dem Handballen zum vorsichtigen Polieren, um die Oberfläche etwas widerstandsfähiger zu machen, will gut erwogen sein, hat sie doch eine unumkehrbare Veränderung der optischen Wirkung zufolge. Technische wie handwerkliche Verfeinerungen zielen grundsätzlich darauf, die Spuren des Machens zu minimalisieren, um die besonderen Eigenschaften des Wachses sich ungestört entfalten zu lassen. 

     Mit der Farbe und dem geometrischen Muster als jeweils unverzichtbarem Bestandteil der Bilder sind sinnliche Attraktion und rationale Ordnung als die beiden wesentlichen Pole menschlicher Erkenntnisfähigkeit einbezogen. Doch keinem der beiden ist eine primäre Rolle zugedacht. Entsprechend sind die Farben in sich nicht delikat und dicht genug, sind vor allem die Muster nicht komplex und raffiniert genug, um autonome Gültigkeit zu beanspruchen. Vielmehr sind Farbe und Muster bewusst einfach gehalten, und auch ihrem Zusammenspiel gilt das Hauptinteresse der Künstlerin nicht.

     Komplexität und Tiefe werden erst in vollem Umfang erschlossen und zur Entfaltung gebracht durch die Wachsschicht, die der Bildfläche etwas Körperliches verleiht. Ihre milchige Trübheit wiederum filtert das Licht so, dass der Blick des Betrachters statt in die Tiefe ins Zwischenräumliche geführt wird. Die spezifische Konsistenz des Paraffins erscheint noch im erstarrten Zustand warm, umschließt zumindest die Erinnerung an Wärme.

    Das erstmals 1830 aus Erdöl künstlich hergestellte, farb- und geruchlose Paraffin ist wegen seiner vielseitigen Einsetzbarkeit als Brennstoff, zur Imprägnierung, Konservierung, Pflege und medizinischen Behandlung in der industrialisierten Welt allgegenwärtig. Diese Eigenschaften machten es für Joseph Beuys zum idealen Material, der essentiellen Erfahrung der wärmenden, schützenden und heilenden Wirkung von Fett als Erfahrung von Lebensenergie schlechthin künstlerisch Ausdruck zu verleihen.

     Auch für Edda Jachens war eine medizinische Anwendung vor etwa anderthalb Jahrzehnten der Anlass, sich dem Wachs zuzuwenden, ohne dabei der Beuysschen Aufladung zum weltanschaulichen Inbegriff oder zur anthropologischen Metapher zu folgen. Ihr Interesse gilt vielmehr der wahrnehmungsästhetischen Potenz eines Materials, dessen wohltuende Eigenschaften, bevor sie sich dem Betrachter erschließen, der Künstlerin im Umgang mit ihm zugute kommen. Diese Achtsamkeit sich selbst gegenüber überträgt sich unmittelbar auf ihre Bilder (- und steht im denkbar krassen Gegensatz zu Yves Klein, der die meditativ-suggestive Wirkung seiner monochrom blauen ‚Ikonen’ mit hochgiftigen und entsprechend gesundheitsschädigenden Materialien erzielte). Dass Wachs zudem in der Geschichte der Menschheit und insbesondere der Religionen von großer Bedeutung ist, macht die Arbeit mit ihm umso reizvoller und vielschichtiger, auch und gerade jenseits der Kerzenlichtsymbolik.

     Kunsthistorisch lässt sich die Arbeit mit Wachs bis in die griechisch-römische Antike zurückverfolgen. Für ägyptische Mumienportraits bediente man sich der Enkaustik, die anfangs für Ikonen übernommen, nach dem Ikonoklasmus jedoch zunehmend durch Eitempera ersetzt wurde. Diese Technik ermöglichte es, einer Holztafel mittels in Wachs gebundener Farbpigmente Ideen und Vorstellungen dauerhaft einzubrennen.

     Edda Jachens hat sich intensiv mit Mumienportraits und Ikonen beschäftigt, ohne die Enkaustik zu übernehmen. In ihren Arbeiten behält das Wachs, da mit der Farbe unverbunden, seine eigene Konsistenz, Semitransparenz und Weichheit, bleibt somit hochempfindlich und verletzbar. Dennoch schwingt hintergründig die Tradition dieser uralten Technik in ihnen mit, und bindet sie, obgleich mit der weichen Farblosigkeit des Wachses auf einen anderen Blick zielend, lose in einen großen kulturhistorischen Zusammenhang. Den bisher eindrucksvollsten Beleg dafür erbrachte 2006 eine Ausstellung ihrer Bilder und denen Jawlenskys im Dialog mit der ständigen Sammlung des Ikonen-Museums Recklinghausen.

     Entscheidend aber ist, was dem betrachtenden Blick durch die weiche und etwas trübe Wachsschicht widerfährt. Farbe und Muster, obwohl deutlich umrissen, erscheinen leicht verschoben und daher unscharf, wie dekonturiert. Sie lassen sich nicht fixieren, sie schwimmen, verdichten und lösen sich wieder. Alles - und Nichts - passiert im Zwischenräumlichen, wo Raum und Zeit gleichermaßen aufgehoben zu sein scheinen.

     Die Unschärfe eröffnet Befragungen, für die seit dem Postimpressionismus immer wieder neue und zeitgemäße visuelle Formulierungen entwickelt werden: von der Definierbarkeit einer sichtbaren Ordnung über ein von erinnerter Wirklichkeit durchdrungenes Sehen bis hin zu Qualitäten des Geistigen hinter dem Sichtbaren. Zugleich ist der unscharfe ein poetisch-reflektierender Blick auf das Rätsel Wirklichkeit. Und wie bereits in der Romantik wird heute die Unschärfe erneut als wirkungsvolles Mittel gegen Reizüberflutung eingesetzt. Dass es sich die Werbung gleichfalls zunutze macht, um diese Qualität durch inflationären Einsatz im Dienst einer „Ikonographie des guten Lebens“1 ad absurdum zu führen, gehört dabei ebenso zu den Charakteristika unserer Zeit wie das Schaffen einzigartiger Kunstwerke.

     Die Bilder von Edda Jachens sind die sicht- und spürbaren Ergebnisse einer Konzentration auf das Wesentliche und der unbeirrbaren Achtsamkeit ihres Vorgehens. Farbe, Muster und Wachs bewirken gemeinsam eine Atmosphäre von Ruhe, Ordnung und Schutz, dem die Perfektion und Sorgfalt der Ausführung etwas Erhabenes hinzufügt. Dabei ist die Wachsschicht, die das Bildinnere schützt und den Betrachterblick in Zwischenräume führt, durch die weiche Konsistenz ihrer Oberfläche selbst ungeschützt. Die Gefährdung des Bildraums als Schutzraum bleibt somit stets präsent. Ihre Schönheit, Ergebnis einer essenziellen Reduktion, verleiht ihnen etwas von einer zeitlosen Universalität. Die Ambivalenz von Schutz und Schutzbedürftigkeit verankert sie im Hier und Jetzt. Nicht zuletzt aus dieser Spannung rührt ihre Kraft.


Susannah Cremer-Bermbach

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1 Wolfgang Ulrich, Die Geschichte der Unschärfe, Berlin 2002, S. 118 ff.

© Edda Jachens