EDDA JACHENS


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AUSSTELLUNG EDDA JACHENS IN DER GALERIE EMILIA SUCIU

Kategorien sind ein probates Instrument der Verständigung. Wenn ich etwa feststelle, Franz Anton Maulbertsch war ein Barockmaler, oder behaupte, dieses oder jenes Bild sei impressionistisch, dann lösen diese Aussagen einigermaßen klare Vorstellungen aus. Sie ersetzen einen Teil des Informationsaustauschs. Auch wer die Malerei Maulbertschs nicht kennt, wird beim Stichwort „Barock“ an himmelwärts strebende Kompositionen oder dramatische Draperien denken, und bei dem Attribut „impressionistisch“ dürften die meisten eine divisionistische Methode assoziieren, die ihre Sujets in farbig flimmernde Malereipartikel auflöst. Kategorien haben allerdings Tücken. Wenn ich Maulbertsch als Barockmaler charakterisiere, verschweige ich seine klassizistischen Jahre, wenn ich von einem „impressionistischen Bild“ spreche, vernachlässige ich die Unterschiede, die selbst innerhalb eines Gesamtwerks zu beobachten sind: Der frühe Monet malte anders als der späte. Es wird sich zeigen, dass diese schlichten Beobachtungen für das Verständnis der Arbeiten von Edda Jachens, die ab heute hier ausstellt, von einigem Belang sind.

Festzuhalten wäre also: Kategorien unterdrücken die je spezifischen Merkmale eines Sachverhalts. Diese Problematik betrifft nicht zuletzt das, was als „konkrete und konstruktive Tendenzen der Kunst“ bezeichnet wird. Die Begrifflichkeit – „konkrete und konstruktive Tendenzen“ – hat etwas auffällig Ungelenkes. Sie fällt auf, weil sie abfällt – und zwar gegenüber der offensichtlichen Eindeutigkeit und Stringenz der Arbeiten, die üblicherweise mit den Attributen konkret oder konstruktiv belegt werden. Die terminologische Schwerfälligkeit ist freilich bereits ein Reflex der vorhin erwähnten Problematik. Denn der umständliche Ausdruck ist aus einer doppelten Erkenntnis heraus entstanden. Einer Erkenntnis, die zum einen auf historischen, zum anderen auf semantischen Gründen basiert. Historisch hat sich gezeigt, dass die dogmatische Strenge der Moderne und die positivistische Rigidität der Konkreten Kunst von den Künstlern einer 2. oder 3. Generation nicht mehr geteilt wurde. Semantisch folgte daraus eine Lockerung der ursprünglich strikten Prinzipien, die eine Selbstbeschränkung des Künstlers auf die Primärfarben und auf einige einfache Formen der Geometrie gefordert hatten.

Die Formulierung „konkrete und konstruktive Tendenzen“ nimmt hier ihren Ausgang. Sie spiegelt das Bemühen um eine Differenzierung, die umso dringlicher wird, je häufiger sich die Arbeiten der unterschiedlichen Künstler äußerlich ähneln, tatsächlich aber mit divergierenden Intentionen und Aussagen verknüpft sind. Ein Quadrat ist nicht dasselbe wie ein Quadrat. Die geometrische Form ist zwar exakt definiert, aber der Bedeutungsgehalt kann erheblich auseinander driften. „Das schwarze Quadrat auf weißem Grund“, mit dem Kasimir Malewitsch der Kunst eine gänzlich neue Wendung gab, galt dem Urheber dieser extrem reduzierten Malerei als, wie er schrieb, „Keim aller Möglichkeiten“. Das Quadrat war gewissermaßen komprimierte Universalität. In Max Bills programmatischer Arbeit „integration von vier systemen“ hingegen, die Ende der 50er-Jahre entstand, dient die geometrische Form des Quadrats lediglich als Strukturelement: 6000 solcher gleichmäßigen Vierecke hat Bill zu einem nicht nur in seinen Einzelelementen, sondern in seiner Gesamtheit quadratischen Bild zusammengefasst. Hier gilt: The form is the message.

In diesem Spannungsfeld ist nun die Kunst von Edda Jachens zu verorten. Die Koordinaten dieses Feldes könnte man mit den Titeln zweier Ausstellungen umschreiben, die beide im vergangenen Jahr stattfanden. „Blaue Bilder“ hieß die eine, die Jachens im Kunstverein Neue Chemnitzer Kunsthütte zeigte, „In der Schwebe bleiben“ nannte sie die andere, die im Anhaltischen Kunstverein Dessau gezeigt wurde. Die Exponate waren insgesamt ähnlich; wenn sie differierten, dann vorwiegend in ihrer Farbigkeit. Umso auffälliger der Unterschied in der Diktion: „Blaue Bilder“ – das ist die Sprache der Konkreten, die nur solche Gestaltungsmittel akzeptieren, die exakt, berechenbar und somit jederzeit nachzuvollziehen sind. Max Bill sprach in diesem Zusammenhang von einer „mathematischen Denkweise“: Die Kunst soll wie die Wissenschaft in ihren methodischen Schritten genau und restlos aufschlüsselbar sein. Ein lapidarer Ausstellungstitel wie „Blaue Bilder“ kommt diesem Postulat ziemlich nahe. Er signalisiert Unzweideutigkeit – eine Unzweideutigkeit, die Edda Jachens allerdings rasch unterminierte, indem sie anlässlich ihrer Dessauer Ausstellung die Parole ausgab: „In der Schwebe bleiben.“ Statt auf einen fest umrissenen Bereich zu verweisen – die blauen Bilder –, folgte jetzt die Aufforderung zu offener Ambivalenz.

Die Leitmotive, die der Präsentation von Kunstwerken zugeordnet werden, mögen sich mitunter dem Zufall verdanken – angesichts der Arbeiten von Edda Jachens reflektieren sie die künstlerische Praxis. Denn zum einen hält sich Jachens an die Maximen der konkret-konstruktiven Kunst, zum anderen entzieht sie ihre Bilder eindeutiger Bestimmbarkeit. Die geometrischen Formen, Patterns oder Cluster, die in Jachens’ Arbeiten vage, wie hinter einem Schleier, wahrzunehmen sind, haben einen durchaus distinkten Hintergrund. Die Formen, Patterns oder Cluster sind als schmale Streifen oder Rechtecke, als Quadrate oder Kreise auf einen Bildträger aus Holz gemalt. Der Eindruck von Unschärfe, der für diese Arbeiten kennzeichnend ist, resultiert offenbar aus einer etwa fünf Millimeter dicken, homogenen Paraffin-Schicht, mit der Jachens ihre Malereien überzieht. Aber weiß man das so genau? Jachens schafft eine zwiespältige Situation. Sie missachtet den Grundsatz der Eindeutigkeit, denn das milchig-trübe, semitransparente Paraffin wirkt wie ein Puffer oder Filter. Zwar sind die geometrischen Grundformen äußerst exakt gemalt. Aber ohne Vorwissen ist nicht zweifelsfrei zu entscheiden, ob die Kreise oder Quadrate auch wirklich scharf konturiert sind oder möglicherweise beim Malen schon so verschwommen angelegt wurden, wie sie sich durch den wachsartigen Überzug hindurch darstellen. Hinzu kommt so etwas wie Entschleunigung. Die Wahrnehmung wird durch die eingeschränkte Durchsichtigkeit des Paraffins ausgebremst. Der Blick wird verlangsamt. Der Betrachter wird dazu gebracht, sich näher mit der Arbeit zu befassen, eindringlicher hinzusehen, um vielleicht doch noch hinter das Geheimnis dieser Bilder zu gelangen.

Kunst als Herausforderung an die visuelle Sensibilität. Kunst als Aufruf oder Auftrag zu intensiver Einlässlichkeit. Kunst als Medium der Sinnesschärfung und damit der Bewusstseinsbildung: Das ist der essentielle Rezeptionsmechanismus der konkreten und konstruktiven Kunst. Hier erfüllt sich der aufklärerische Impuls, der ihre Entwicklung von Anfang an begleitet hat. Diese Kunst legt es nicht – wie etwa die Barockmalerei – darauf an, die Menschen in sprachloses Staunen zu stürzen. Sie veranlasst, stimuliert, erzieht ihr Publikum zum analytischen Sehen als Basis analytischen Denkens.

In dieser Tradition steht auch der jüngste Werkkomplex von Edda Jachens. Die Frage ist nur: Sind die Werke damit hinreichend erklärt? Genügt es, Jachens’ Arbeiten als Objekte zur Förderung kognitiver Prozesse zu beschreiben? Man muss sogar weiter gehen und generell fragen: Kann es sein, dass ästhetische Paradigmen, die in der Frühzeit der Moderne aufgestellt wurden, nach einer für die Neuzeit außergewöhnlich langen Zeitspanne von nahezu 100 Jahren immer noch Grundlage künstlerischer Praxis sind? Und kann es sein, dass diese Praxis einzig und allein darauf beschränkt blieb, Bilder und Gegenstände zur Wahrnehmungssensibilisierung und Erkenntnisstimulation zu fertigen? Oder andersherum gefragt: Welche Bedeutung, um nicht zu sagen: welche Kraft enthält das Moment der sensuellen Herausforderung? Und: Gibt es etwas, das über das Moment eines verfeinerten, vertieften und differenzierten Umgangs mit den Sinneseindrücken hinausgeht?

Die Arbeiten von Edda Jachens halten hier einige Antworten parat. Eine von ihnen liegt in dem Material, das die Künstlerin verwendet. Paraffin gehört zu den Stoffen, die Schutz und Gefährdetsein gleichermaßen repräsentieren. Glas beispielsweise ist hart, aber zerbrechlich, und genauso liefert Paraffin zwar Wärme mit all den wohligen Assoziationen, die sich – bis hin zum Candle-Light-Dinner – mit Wärme verbinden lassen, und doch ist es hitzeempfindlich, würde bei zu hohen Temperaturen schmelzen oder gar in Flammen aufgehen und sich in Rauchgasen verflüchtigen. Deshalb scheint Edda Jachens Malerei ebenso gut geschützt wie rasch vergänglich. Es ist, als hätten sich die Kerzen, die in altmeisterlichen Stillleben das Memento mori symbolisierten, in greifbare Realität verwandelt, um sich fortan mit der Absolutheit des Ebenmaßes über ganze Bilder zu erstrecken. Die semantische Mehrwertigkeit, sprich: Polyvalenz reicht noch weiter. Das Paraffin bindet Jachens’ Arbeiten an die irdische Materie, und zwar durch das Material als solches, das aus Mineralöl gewonnen wird, und durch die Kompaktheit, mit der es die Malerei bedeckt. Der dicke Paraffinüberzug macht aus den Bildern Gegenstände oder stellt doch zumindest einen Zustand her, der nicht mehr nur Bild ist, sondern beinahe schon Objekt. Andererseits setzt gerade das Paraffin die besondere Aura der Arbeiten und ihrer Farben frei, die wie entrückt wirken. Jachens hat auch mit anderen Werkstoffen experimentiert, den gewünschten Grad an Luzidität brachte allerdings nur das Paraffin. So sorgt denn ausgerechnet ein erdnaher Stoff wie das Paraffin dafür, dass die Farben zu nachgerade spiritueller Ausstrahlung transzendieren. Durch den Einfluss des Paraffins auf die Lichtbrechung entsteht zudem ein Eindruck, der unmittelbar an den Dessauer Ausstellungstitel erinnert. Man meint, die Farben hätten sich von ihrem Untergrund gelöst, seien schwerelos und würden, wie es in Dessau hieß, „In der Schwebe bleiben.“

Das Paraffin verändert die optische Wirkung der Farben. Manchmal potenziert Jachens diesen Effekt, indem sie der noch flüssigen Masse Pigment beimischt. Mit Hilfe dieses Verfahrens hat Jachens ihre „Blauen Bilder“ gefertigt, die indes nicht nur aus Blau bestehen. Die rechteckigen Formen, die in den Arbeiten wie hellere oder dunklere Schemen auftauchen, sind rot, rosa oder auch gelb. Sie kommen einem aber blau vor – augenscheinlich das Produkt einer optischen Mischung mit den blau eingefärbten Paraffinflächen. Das Phänomen ist nicht zuletzt aus der Literaturgeschichte bekannt. Dort illustriert es einen dramatischen Wendepunkt im Leben des Dichters Heinrich von Kleist, die so genannte Kant-Krise. Man weiß nicht, ob sie primär durch die Lektüre von Texten des Königsberger Philosophen oder durch die Begegnung mit den Überlegungen Johann Gottlieb Fichtes über „Die Bestimmung des Menschen“ ausgelöst wurde. Auf jeden Fall wird Kleist mit der Begrenztheit menschlicher Erkenntnisfähigkeit konfrontiert, und er beschreibt diese plötzliche Einsicht mit einem Vergleich:

“Wenn alle Menschen statt der Augen grüne Gläser hätten, so würden sie urteilen müssen, die Gegenstände, welche sie dadurch erblicken, sind grün – und nie würden sie entscheiden können, ob ihr Auge ihnen die Dinge zeigt, wie sie sind, oder ob es nicht etwas zu ihnen hinzutut, was nicht ihnen, sondern dem Auge gehört. So ist es mit dem Verstande. Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist, oder ob es uns nur so scheint“ (s. Briefe 22./ 23. März 1801)

Bei Jachens wird dieses Problem in die Bilder ausgelagert und damit akzentuiert. Der Betrachter sieht, dass er es mit einer modifizierten Wirklichkeit zu tun hat. Aber er kann weder herausfinden, wie die Farben, die er wahrnimmt, eigentlich aussehen, noch kann er behaupten, dass die blaue Wirklichkeit, die er sieht, weniger wahr sei als die der übrigen, nicht eingefärbten Paraffin-Arbeiten. Da wie dort trifft er auf Kunst. Hinter den Arbeiten von Edda Jachens wartet also latent die Frage: Wie genau muss, wie genau kann Wahrnehmung sein, damit sie nicht trügt, verfälscht, verblendet oder in die Irre führt? Diese Frage weist auch einen biographischen Aspekt auf. Edda Jachens hat zunächst in Hamburg begonnen, Medizin zu studieren, wechselte aber bald an die Muthesius-Hochschule in Kiel, wo sie sich in ihren Arbeiten eines akribischem Realismus befleißigte; erst während eines Stipendienaufenthalts in London fand sie zur formalen Reduktion der Geometrie. Dieser Schritt war allerdings nur die letzte, radikale Konsequenz einer kontinuierlichen Suche. Bereits in ihrer realistischen Phase war es Jachens darum gegangen, zu dem vorzudringen, was den Menschen im Kern, in seinem Wesen ausmacht – daher die Akribie, mit der sie die figürliche Welt erforschte. Selbstverständlich kann Jachens auch mit den Paraffin-Arbeiten nicht den Kern selbst liefern. Aber sie verdeutlicht, dass es einen solchen auratischen Kern gibt, der in Erscheinung treten und doch so wenig fassbar bleiben kann wie die gleichsam schwebenden Farbformen in ihrer paraffinen Umgebung. Sie mit wacher Sensibilität in all ihren Feinheiten zu sehen und aufzunehmen – das ist das eine. Zu verstehen, das hinter jeder noch so präzisen und sorgfältig ausgeloteten Erkenntnis noch etwas Neues, Unerwartetes, Umfassenderes warten kann – darin offenbart sich das eigentliche Ereignis der Kunst von Edda Jachens.

Michael Hübl
Ettlingen, 27. März 2004

© Edda Jachens