EDDA JACHENS


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KONZENTRATION UND INTENSITÄT. ZU DEN AKTUELLEN PARAFFINARBEITEN VON EDDA JACHENS.

Seit fünf Jahren arbeitet Edda Jachens mit Paraffin, wobei der Begriff „Arbeiten mit Paraffin“ die aktuelle Werkgruppe zwar benennt, jedoch nicht ausreichend beschreibt. Allerdings wird mit dem Benennen einer Technik bzw. eines künstlerischen Materials jeweils ein Abschnitt ihrer künstlerischen Arbeit charakterisiert. Edda Jachens konzentriert sich über eine lange Zeit auf ein Medium, mit dem sie konsequent so lange arbeitet, bis sie dessen Aussagemöglichkeiten für sich ausgeschöpft hat. So folgen auf die abgeschlossene Werkgruppe der Arbeiten mit Graphit (1991-97) seit 1998 die Arbeiten mit Paraffin, um die es im folgenden gehen soll, und zwar um den aktuellen Stand innerhalb dieser Werkgruppe, bei der die weitere Entwicklung noch offen ist. Dabei muss an dieser Stelle nicht alles wiederholt werden, was zu den Paraffinarbeiten bereits geschrieben wurde (Meinhard Michael 1999, Eugen Gomringer 2001, Mathias Lindner 2003).

Die Paraffinarbeiten sind Bildtafeln, die zunächst Träger einer Malerei werden, die auf ein elementares, reduziertes, geometrisches Formenvokabular zurückgreift. Bis hierher könnte man von streng geometrischen Arbeiten im Sinne der konkreten Kunst sprechen. Doch bekommt der Betrachter diesen Zustand nie zu sehen, da die fertige Arbeit erst im nachfolgenden Prozess entsteht: Die Bildtafel wird mit einer ca. 0,5 cm dicken, ebenmäßigen Paraffinschicht überdeckt, was den Arbeiten erst die ihnen eigene Anmutungsqualität gibt. Zum einen erhalten die Bilder den Charakter eines Objekts. Zum anderen und vor allem wird die geometrische Malerei dadurch dem unmittelbaren „Zugriff“ durch den Blick des Betrachters entzogen. Es wird eine Distanz geschaffen, einmal durch das messbare Volumen des Paraffins, das nun zwischen dem geometrischen Motiv und dem Betrachter liegt, zweitens durch die besonderen Materialeigenschaften des Paraffins, nämlich u. a. seine Lichtdurchlässigkeit, die das Motiv nicht verdeckt, sondern sichtbar lässt – sichtbar, aber unter besonderen Bedingungen. Diese Grundbedingungen, die die Wahrnehmung der Paraffinarbeiten prägen, sind allen Arbeiten dieser Werkgruppe gemeinsam. Dabei geht es um mehr als um einen bloßen Effekt. Vielmehr schafft die spezifische Verwendung des Paraffins ganz bestimmte Wahrnehmungsbedingungen für den Betrachter und ist damit nicht nur eine künstlerische Technik, sondern bereits Teil der künstlerischen Aussage. Diese Grundaussage ist von entscheidender Bedeutung. Auf ihr baut die spezifische Aussage der jeweiligen Arbeit in ihrer formalen und farblichen Ausformulierung auf.

Wenn hier von Aussage gesprochen wird, dann ist damit eine bildliche bzw. künstlerische Aussage gemeint, die nicht in gleicher Weise mit Sprache auszudrücken ist. Eine wichtige Erkenntnis der Kunstbetrachtung und -interpretation ist, dass mit einem Bild (bzw. Skulptur, Objekt etc.) Dinge gesagt werden können, die mit Sprache nicht sagbar sind. Das heißt, es geht in der bildenden Kunst nicht darum, sprachliche Aussagen oder Botschaften bildlich umzusetzen, damit der Betrachter dann wiederum ein Werk der bildenden Kunst entschlüsselt, um die ursprüngliche sprachliche Aussage oder Botschaft zu erhalten – übrigens ein bis heute weit verbreitetes Missverständnis. Viel einfacher könnte dann die Aussage direkt in sprachlicher Form formuliert werden. Eine bildliche Aussage bewegt sich dagegen auf einer anderen Ebene, die vor allem mit der Wahrnehmung über das Sinnesorgan zu tun hat, mit dem bildende Kunst in erster Linie wahrgenommen wird, nämlich mit dem Auge, und der Verarbeitung der Sinneseindrücke sowohl auf der Ebene des Intellekts als auch der Emotion. Insofern kann ein Text auch nur eine Annäherung an Kunstwerke unternehmen, indem er Wahrnehmungen beschreibt und Schlüsse aus ihnen zieht. Die Primärerfahrung der Anschauung der Werke kann dadurch nicht ersetzt werden und ist von jedem Betrachter selbst zu leisten. Der Inhalt, der Sinn der Werke wird in der Anschauung erst erzeugt.

Welche besonderen Seherfahrungen ermöglichen nun die Paraffinarbeiten von Edda Jachens? Entscheidend scheint mir die Beobachtung, dass den – so die Vermutung – klaren und eindeutigen geometrischen Farbflächen durch das Paraffin eben diese Klarheit und Eindeutigkeit entzogen wird, während ihre Präsenz dadurch unberührt bleibt. Statt dessen entsteht eine gewisse Unschärfe an den Rändern der Farbflächen, die wiederum den Eindruck des Schwingens, Vibrierens, Schwebens verursacht. Dieses Phänomen führt dazu, dass die Farbflächen weder in der Fläche noch in der Tiefe eindeutig verortet werden können. Das heißt aber, dass der Blick des Betrachters keinen Halt, keinen Fixpunkt im Bild findet und in permanenter Bewegung bleibt, die Anschauung dadurch zum dynamischen Prozess wird. Stellt sich das Auge jedoch auf dieses Vibrieren ein, das aufgrund des orthogonalen Bezugssystems, welches sowohl dem Bildformat als auch dem Bildaufbau zugrunde liegt, in sehr engen Grenzen bleibt, so kann diese Art der Anschauung den Betrachter zur Ruhe und Meditation führen. Ja, es ist geradezu von einer hypnotischen Wirkung der Bildtafeln zu sprechen. So sind auch weder die oben angesprochene Unschärfe noch der Entzug von Klarheit und Eindeutigkeit negativ belegt, sondern im Gegenteil positive Eigenschaften, die das besondere Anschauungserlebnis erst bewirken. Die bis hierher gemachten Aussagen gelten für alle Paraffinarbeiten und sind vielleicht bei den frühen, reduziert gegliederten, zeichenhaften Arbeiten (z. B. „Erinnerung an ein Quadrat“, 1999) am eindrücklichsten.

Überblickt man die Arbeiten der letzten Jahre, so fällt auf, dass die formale Gliederung komplexer wird, unter Beibehaltung der klaren orthogonalen Binnengliederung. In Bildserien führt der Weg von den einfachen, zeichenhaften Formen (Serientitel: „Zeichen“, „Paar“, „Tor“, „Ikone“, 1998/99) über „Kompositionen“ und „Konfigurationen“ zu Serien, die strukturell an Musik anknüpfen, wie „Intervalle“ als Grundstruktur und, darauf aufbauend, „Opus“, „Ouvertüre“ und „Oratorium“. Den „Konfigurationen“ liegt ein kleinteiliges rechtwinkliges Raster zugrunde, das eine variable Anordnung von Quadraten ermöglicht. Die Arbeiten sind zweifarbig, wobei die eine Farbe identisch ist mit der Farbe der Randzone und so den Hintergrund bildet, während die andere Farbe die Figur bzw. Konfiguration beschreibt. Die „Intervalle“ sind polychrom und weisen formal ausschließlich eine vertikale Gliederung auf, sieht man von der Horizontalen durch die obere und untere Randzone einmal ab. Die senkrechten farbigen Streifen sind unterschiedlich breit und bilden in ihrer Abfolge einen mehrstimmigen Farbklang. Die beschriebene Unschärfe der Nahtstellen, die durch das Paraffin entsteht, bewirkt hier eine besonders intensive Wechselwirkung (Interaktion) der nebeneinanderliegenden Farben. Außerdem fällt auf, das die Benennbarkeit bzw. Identifizierbarkeit der Farben schwerer wird, wenn es sich um Mischfarben oder helle Farbtöne handelt. Das Schweben der Farbflächen ist hier ebenfalls besonders augenfällig, so dass diese entsprechend ihrer räumlichen Wirksamkeit in unterschiedlichen Ebenen zu liegen scheinen.

In ihren jüngsten Arbeiten (2002/03) geht Edda Jachens unter Beibehaltung ihres erarbeiteten Formenrepertoires noch einen entscheidenden Schritt weiter: Anstelle des farblosen Paraffin verwendet sie nun Paraffin, das durch die Zugabe von Pigment eine Eigenfarbe erhält, bisher die Primärfarben Blau und Rot. Dieser naheliegend erscheinende Schritt hat gravierende Folgen. Das unter der Paraffinschicht liegende Motiv wird dem (schauenden) Zugriff des Betrachters noch stärker entzogen als bisher. Das Diffuse wird verstärkt, da der Blick nicht allein durch das Paraffin gefiltert wird, sondern zusätzlich durch die Pigmentteilchen. Die Farbwirkung wird nun naturgemäß stark durch die gewählte Grundfarbe dominiert. Da die Untermalung mit Farbflächen nach dem bekannten Formenvokabular aber beibehalten wird, tritt nun der Effekt auf, dass die Farben der Untermalung mit der darüber liegenden Farbe der Paraffinschicht optisch gemischt werden, oder anders gesagt, dass die Farben der Untermalung überhaupt nur durch den Filter einer blauen oder roten Paraffinschicht wahrgenommen werden können und sich dadurch der eindeutigen Identifikation oder Definition entziehen.

Einen bislang letzten Schritt hat Edda Jachens getan, indem sie die streng orthogonale Gliederung ihrer Kompositionen verlässt und das Formenvokabular um Kreisformen erweitert, die nicht nach einem Raster, sondern frei auf der Fläche angeordnet werden. Dies bedeutet eine gewichtige formale Entscheidung, wenn man bedenkt, dass sowohl alle Arbeiten der Werkgruppe mit Graphit als auch der mit Paraffin auf einer Formensprache beruhen, die ausschließlich mit Horizontalen und Vertikalen arbeitet. Die Folge der freien Anordnung der Kreise ist, dass in der visuellen Wahrnehmung das Schwingen der Farbflächen noch gesteigert wird, da die Verortung an einem orthogonalen Raster nicht mehr möglich ist, die Zwischenräume zwischen den Kreisen variieren und die Kreise ihr Energiepotential in alle Richtungen gleichermaßen entwickeln. Die Farb-Form-Kompositionen von Edda Jachens erfahren durch die vom Paraffin verursachte Unschärfe in ihrer formalen Reduktion eine energetische Aufladung, eine gesteigerte Konzentration und Intensität, durch die sie den Betrachter in ihren Bann ziehen.



Johannes Kögler

© Edda Jachens