EDDA JACHENS


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Susannah Cremer-Bermbach

STILLE PRÄSENZ
Zu den Wachsarbeiten und Aquarellen von Edda Jachens

Schutzräume des Schauens

Im Zentrum ihres künstlerischen Schaffens stehen seit nahezu zwei Jahrzehnten Bilder aus geometrischen Formen, die Edda Jachens mit einer dünnen Wachsschicht überzieht. Anfangs waren es Kompositionen aus einzelnen, dann zunehmend zusammengesetzten Farbformen auf grundiertem Holz. Seit einigen Jahren sind es zu Mustern gereihte und etwas verschoben übereinander geschichtete, geometrische Grundformen, die sie auf einen farbig bemalten Untergrund mit Hilfe selbst angefertigter Schablonen aus festem Karton zeichnet. Die Farbpalette reicht von Grund- und Misch- bis hin zu Signalfarben. Als Bildgrund finden sich zusätzlich Leinwand und Büttenpapier. Abschließend wird erwärmtes Paraffin in flüssigem Zustand aufgegossen oder mit einem breiten, sehr feinhaarigen Pinsel gleichmäßig aufgestrichen. Abgekühlt und fest geworden, zeigt die Bildoberfläche jene für das semitransparente Material typische mattseidene Konsistenz, die es zugleich als hochempfindlich gegenüber jeglicher Berührung ausweist. Um die Oberfläche etwas widerstandsfähiger zu machen, wird sie mit dem Handballen vorsichtig poliert, was die optische Wirkung unumkehrbar verändert. Zugleich zielt jede technische und handwerkliche Verfeinerung darauf, die Spuren des Machens zu minimalisieren, damit sich die besonderen Eigenschaften des Wachses ungestört entfalten können. 

Mit der Farbe und dem geometrischen Muster sind sinnliche Attraktion und rationale Ordnung als die beiden wesentlichen Elemente menschlicher Erkenntnisfähigkeit einbezogen. Doch keinem der beiden ist eine primäre Rolle zugedacht. Das serielle ist als zugrundeliegendes Prinzip zu erkennen, jedoch nicht selbstreferenziell thematisiert. Als Ausschnitte aus einem großen, beliebig fortzusetzenden Ganzen gedacht, bleiben die Muster bewusst einfach und in der Anfertigung wie im Erscheinungsbild kunstlos. Erst mit der Wachsschicht entfaltet sich die ganze Komplexität. Ihre sinnliche Körperlichkeit, die noch im erstarrten Zustand warm oder zumindest die Erinnerung an Wärme zu umschließen scheint, lässt die Farben samtartig und die Formen weniger eindeutig umrissen wirken. Zugleich führt sie den Blick des Betrachters statt in die Tiefe in Zwischenräume.

Dank seiner vielseitigen Einsetzbarkeit als Brennstoff, zur Imprägnierung und Konservierung, zur Pflege und medizinischen Behandlung, ist das farb- und geruchlose Paraffin in der industrialisierten Welt allgegenwärtig. Die wärmenden, schützenden und heilenden Eigenschaften von Fett machten es für Joseph Beuys zum idealen Material, der Erfahrung von Lebensenergie künstlerisch Ausdruck zu verleihen. Eine medizinische Anwendung war auch für Edda Jachens der Anlass, sich dem Wachs zuzuwenden. Anders als Beuys beschränkt sie ihr Interesse jedoch auf die wahrnehmungsästhetische Potenz eines Materials, dessen wohltuende Eigenschaften, bevor sie sich dem Betrachter erschließen, der Künstlerin im Umgang mit ihm zugute kommen. Diese Achtsamkeit sich selbst gegenüber überträgt sich unmittelbar auf ihre Bilder. Dass Wachs zudem in der Geschichte der Menschheit und insbesondere der Religionen von großer Bedeutung ist, macht die Arbeit mit ihm umso reizvoller und vielschichtiger, auch und gerade jenseits der Kerzenlichtsymbolik.

Kunsthistorisch lässt sich die Arbeit mit Wachs bis in die griechisch-römische Antike zurückverfolgen. Edda Jachens hat sich intensiv mit ägyptischen Mumienportraits und Ikonen beschäftigt. Die Enkaustik, mit der man in der Frühzeit einer Holztafel mittels in Wachs gebundener Farbpigmente Ideen und Vorstellungen dauerhaft einbrannte, hat sie jedoch nicht übernommen. In ihren Arbeiten behält das Wachs, da mit der Farbe unverbunden, seine farblose und weiche Konsistenz. Es bleibt somit hochempfindlich und verletzbar. Hintergründig schwingt jedoch in ihnen die Tradition dieser uralten Technik mit, und bindet sie lose in einen großen kulturhistorischen Zusammenhang. Einen eindrucksvollen Beleg dafür erbrachte 2006 eine Ausstellung ihrer Bilder und denen Jawlenskys im Dialog mit der ständigen Sammlung des Ikonen-Museums Recklinghausen.
    
Entscheidend ist, was dem betrachtenden Blick durch die leicht trübe Wachsschicht widerfährt. Farbe und Muster, obwohl deutlich umrissen, erscheinen leicht verschoben und daher unscharf. Sie lassen sich nicht fixieren, sie schwimmen, verdichten und lösen sich wieder. Die Unschärfe eröffnet Befragungen, für die seit dem Postimpressionismus immer wieder neue und zeitgemäße visuelle Formulierungen entwickelt werden: Von der Definierbarkeit einer sichtbaren Ordnung über ein von erinnerter Wirklichkeit durchdrungenes Sehen bis hin zu Qualitäten des Geistigen hinter dem Sichtbaren. Zugleich ist der unscharfe ein poetisch-reflektierender Blick auf das Rätsel Wirklichkeit.

Die Bilder von Edda Jachens sind die sicht- und spürbaren Ergebnisse einer Konzentration auf das Wesentliche und der unbeirrbaren Achtsamkeit ihres Vorgehens. Farbe, Muster und Wachs bewirken gemeinsam eine Atmosphäre von Ruhe, Ordnung und Schutz, dem die Perfektion und Sorgfalt der Ausführung etwas Erhabenes hinzufügt. Dabei ist die Wachsschicht, die das Bildinnere schützt und den Blick des Betrachters in Zwischenräume führt, durch die weiche Konsistenz ihrer Oberfläche selbst ungeschützt. Die Gefährdung des Bildraums als Schutzraum bleibt somit stets präsent. Ihre Schönheit, Ergebnis einer essenziellen Reduktion, verleiht ihnen etwas von einer zeitlosen Universalität. Die Ambivalenz von Schutz und Schutzbedürftigkeit verankert sie im Hier und Jetzt. Nicht zuletzt aus dieser Spannung rührt ihre Kraft.

Von der Schönheit des Strichs auf dem Papier

Vor zwei Jahren begann Edda Jachens, sich mit der Aquarellmalerei zu beschäftigen, zunächst nebenbei, dann zunehmend intensiver und derzeit ausschließlich. Zwei umfangreiche Werkgruppen sind inzwischen entstanden, die sie der jeweiligen Vorgehensweise entsprechend als ‚Schichtungen’ und ‚Kreuzungen’ bezeichnet. Einer Choreografie vergleichbar, hat sie einige Regeln aufgestellt, die jedem Blatt ein kompositorisches Grundgerüst und der Werkgruppe einen seriellen Zusammenhang geben. Innerhalb des für freie und intuitiv getroffene Entscheidungen bewusst begrenzten Spielraums können sich diese umso differenzierter auswirken. Jedes Blatt ist somit gleichermaßen Teil einer Serie wie autonomes Unikat.

Zu den selbst gesetzten Vorgaben gehört eine rahmenartige Schablone in der Größe des Blattes, die den gewünschten Abstand zum Blattrand definiert. Jeder Pinselstrich füllt die gesamte Breite oder Höhe des zur Verfügung stehenden Blattraums aus. Dabei legt die Malbewegung von oben nach unten und von links nach rechts die kompositorische Ausrichtung fest. Der Auftrag der verdünnten Farbe mit einem breiten Pinsel erfolgt so gleichmäßig wie möglich. Der Ansatz gibt sich nur zu erkennen durch die etwas dichtere Farbe zu Beginn, während der unvermeidbare Druck beim Absetzen des Pinsels am Ende die aquarelltypische wässrige Konsistenz hinterlässt.

Die ‚Schichtungen’ weisen längs verlaufende Pinselstriche auf, die partiell von quer aufs Blatt gesetzten gleicher Breite überlagert werden. Ihre Anzahl variiert, meistens korrespondieren vier längs mit fünf quer verlaufenden Strichen. Jeder Pinselstrich wird in leichter Schrägstellung zum Blattrand positioniert, der jeweilige Grad dabei intuitiv gewählt. An sich unbedeutend, hat dieses nur bedingt kalkulierbare Moment tiefgreifende formale Auswirkungen auf die Komposition. Zusätzlich entfaltet die mal mehr, mal weniger verdünnt aufgetragene Farbe durch die unterschiedliche Feinpositionierung an den Schnittstellen der übereinander geschichteten Pinselstriche einen subtilen Reichtum an Farbtönen und formalen Nuancen, und mit diesem eine Ahnung grenzenloser Vielfalt.

Das gilt gleichermaßen für die etwas jüngere Werkgruppe der ‚Kreuzungen’. Hier wird das Blatt zunächst innerhalb einer rahmenartigen Schablone gerade oder schräg platziert. Markierungen stellen sicher, dass die längs und quer gesetzten Pinselstriche jeweils parallel zueinander verlaufen, sich beide somit im rechten Winkel überkreuzen und ein gitterartiges Muster bilden. Die lasierende Schichtung mehrerer und jeweils in einem leicht verschobenen Winkel schräg zu den Blattkanten positionierter Raster erzeugt eine Struktur, die kristalline mit textilen Qualitäten vereint. Während sie sich zu den Rändern hin auffächert, weist die Binnenstruktur partielle Verdichtungen von unterschiedlicher Stärke auf, die eigene geometrische Formen, insbesondere extrem spitze Dreiecke, bilden.

Die Aquarellmalerei verlangt höchste Konzentration und eine sichere, erfahrene Hand, zumal Korrekturen nach der ersten Setzung kaum noch möglich sind. Daraus resultiert eine Unmittelbarkeit, die einem gestisch-intuitiven Ausdruck entgegenkommt. Edda Jachens’ Interesse dagegen gilt grundsätzlich weder der persönlichen Handschrift noch der spontanen Geste. Wie allen ihren Arbeiten, so liegen ihrem Umgang mit dem Aquarell ebenfalls konzeptuelle und zeichnerische Aspekte zugrunde. Die Technik insbesondere des lasierenden Farbauftrags sicher - und das heißt kontrolliert und so gleichmäßig wie möglich - zu beherrschen, zielt bei ihr darauf, die Spuren des Farbauftrags so zu reduzieren, dass sie gerade noch die Authentizität und die Sorgfalt des Vorgehens bezeugen. Umso intensiver und für das Auge ungestört kann sich die immaterielle Schönheit des Lichts in der Transparenz der Farbe entfalten. Übereinander geschichtet, entsteht zudem eine äußerst subtile Gradation von Lichtintensitäten und über diese eine Art Verräumlichung der Fläche, dem Paraffin bei den Wachsarbeiten vergleichbar. Jenseits linearperspektivischer Hilfsmittel ist ihre besondere Qualität auch hier nicht Tiefenraum, sondern Zwischenraum. Was diesen ausmacht, lässt sich nur annäherungsweise umschreiben mit dem, was sich unseren Sinnen weitgehend entzieht, was abwesend, ‚nicht da’ zu sein scheint: Leere. Schweigen. Stille.

Der Transparenz zugeschriebene Eigenschaften - das Leichte, Schwebende, Zarte -, werden allgemein als schön empfunden. Ebenso die Stille. „Edle Einfalt und stille Größe“, so formulierte Johann Joachim Winckelmann Mitte des 18. Jahrhunderts das klassische Ideal des Kunstschönen, das er nach eingehendem Studium von Skulpturen der griechischen und römischen Antike gewonnen hatte. Die Vorstellungen davon, was ‚edel’ und ‚groß’ ist, haben sich gewandelt und längst als künstlerische Qualitäten ihre Bedeutung verloren. Ebenso gilt die Gleichsetzung von schön, wahr und gut nicht mehr als verbindlich (- obwohl sie unterschwellig weiterhin wirksam sein dürfte).
Befreit von ethisch-moralischen Forderungen, sind die Konzentration auf das Einfache in seiner ganzen Komplexität und all das, was im Begriff ‚Stille’ fernab von Funktion und Zweck mitschwingt, für viele Menschen bis heute gültige Kriterien des Kunstschönen jenseits von bloßem Schein und dekorativer Banalität. Die Wachsarbeiten und Aquarelle von Edda Jachens zeugen gleichermaßen davon in ihrer Nähe zum klassischen Ideal von Schönheit, das auch in seinen heutigen, facettenreich gebrochenen und flüchtigeren Formen eine  achtsame Hinwendung bewahrt hat.

Die Faszination von der Schönheit des Strichs auf dem Papier ist für sie ein wichtiges Movens, sich dem Aquarell mit einer Intensität und Ausdauer zu widmen, die in der Vielfalt leicht variierter transparenter Striche von zugleich zeichnerischer und malerischer Qualität ebenso ihren Ausdruck findet wie in der Sorgfalt, mit der jedes einzelne Blatt komponiert wird. Gelingt die Präsenz von Leichtigkeit und Stille, wird der Blick des Betrachters nach einem ersten Abtasten der Oberfläche von der Schönheit verführt, über die Schnittstellen von Schichtung zu einem reflektierten Schauen gewandelt, in jene Zwischenräume geleitet, in denen das Abwesende aufgehoben ist – sei es im Sinne einer Erinnerung oder einer Auflösung: Kunstbetrachtung als Erfahrung von Glück.

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© Edda Jachens