DIE POESIE DES PARAFFINS
Die Unzulänglichkeit der Fotografie, die „Aura“ eines Kunstwerks einzufangen, ist bereits ausufernd erörtert worden. Selten aber wurde einem dieses Unvermögen so deutlich vor Augen geführt, wie im Falle der Paraffin-Arbeiten von Edda Jachens. Wer jemals einem Original gegenüberstand und später eine Abbildung derselben Arbeit in einem Katalog erblickte, hat ein Gefühl der Enttäuschung sicherlich nicht verleugnen können. Bereits die Beschränkung auf eine frontale Aufnahme verschleiert, dass es sich um zwischen Malerei und Skulptur changierende Wandobjekte handelt. Die geheimnisvolle, poetische Aura der Paraffin-Arbeiten lässt sich nicht auf die wenigen Zentimeter Umraum beschränken, die in den Fotos mit dokumentiert werden. Die seit 1998 entstehende Werkgruppe „lebt“ durch ihre sinnliche Raumwirkung. Die von einer etwa fünf Millimeter dicken Paraffin-Schicht verdeckten, auf einer grundierten Spanplatte gemalten geometrischen, monochromen Formen entwickeln face-to-face mit dem Betrachter zu diesem eine emotionale, geradezu seelische Verbindung. Die milchige Paraffin-Schicht nimmt den konkreten Formen ihre sterile Schärfe. Die Grenzen zwischen klar konturierter Farbfläche und Umraum sind buchstäblich fließend und harmonisiert. Auch die genaue Lage der eingeschlossenen Farbflächen ist nicht eindeutig definierbar.
Das Paraffin scheint, Beuys wäre beeindruckt, als Licht- und Energiespeicher zu fungieren. Inwieweit dieses Licht ein göttliches ist, muss jeder selbst entscheiden.
Mit und in den „Meditationen“ hat die Künstlerin ihre Bildeindrücke von Alexej von Jawlenskys gleichnamigen Gemälden reflektiert. Diese „Meditationen“ ragen nicht nur aufgrund der auffallend großen Farbvielfalt und der vollständigen Parzellierung der Bildfläche aus dem bisherigen Oeuvre heraus. Es sind auch die bisher „figürlichsten“ Arbeiten, da sich die dunklen horizontalen und vertikalen Balken in Analogie zu Jawlenskys Bildschemata als Nase, Mund und Augenbrauen deuten lassen.
Im Vorfeld der vom Ikonen-Museum Recklinghausen kuratierten Ausstellung „Beyond Icons“ hat sich Edda Jachens erstmals mit Heiligenbildern auseinandergesetzt. In den Gewändern vieler Heiligen-Darstellungen aus dem 15. und 16. Jahrhundert befinden sich Muster, welche das Kreuz-Symbol aufgreifen. In ihren „Kreuzungen“ abstrahiert Edda Jachens quasi die figürliche Darstellung des Gewand-Musters, die wiederum auf ein figürliches Vorbild (das Kreuz Christi) zurückgeht. Je nachdem welche Ebene der Betrachter fokussiert, versetzt er die sich im Paraffin überlagernden Gitterstrukturen in Schwingung. Und je nachdem, wie weit er mit seinen Augen in das Kunstwerk hinein „zoomt“, wird er die „Kreuzungen“ als zeitloses abstraktes Muster oder als christliche Symbolik sehen.
Seit 2003 hat die Künstlerin ihr Formenvokabular um Kreisformen erweitert, die scheinbar frei und unhierarchisch über die Bildfläche verteilt werden. In der „Kreise“-Serie überlagern sich erstmals verschiedene Farbflächen. An den Schnittmengen mischen sich deren Farben, wobei unklar bleibt, ob es sich um eine „natürliche“ Schnittmenge oder um eine „unnatürliche“, inszenierte Farbmischung handelt. Das Moment des Spielerischen war noch nie so groß wie hier. Die Oberflächen der Bildträger gleichen Spielwiesen, auf denen sich die Farbkreise mit anderen Farbkreisen tummeln. Die scheinbar pulsierenden Kreisformen erinnern an mit dem Mikroskop vergrößerte, eingefärbte Zell-Organismen. Auch Assoziationen an Lichtreflexe, sich überlagernde Scheinwerferkegel oder stark vergrößerte Rasterpunkte eines Zeitungsbildes sind nachvollziehbar.
Marko Schacher, Februar 2008
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