EDDA JACHENS


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DIE TRANSZENDIERUNG DER REALITÄT

Eine Konfrontation: Ikonen – Jawlensky – Jachens

 

Ikonen haben auf moderne Kunst, manchmal sogar unbewusst, größeren Einfluss genommen, als dies zunächst jeweils sichtbar wurde. Daneben gibt es dezidierte Äußerungen, die auf Bildwerke der ostchristlichen Kirche Bezug nehmen. In der hier gewählten Gegenüberstellung, das wird sich zeigen, kreist der jeweilige Bildgedanke um den tiefen Kern der Transzendenz, wodurch eine solche Konfrontation über Jahrhunderte hinweg nicht nur einige Berechtigung erfährt, sondern gleichzeitig einen äußerst spannungsvollen ästhetisch-künstlerischen Prozess hervorbringt.

Alexej von Jawlensky (1864 – 1941) ist von seiner russischen Herkunft mit diesen Bildnissen aus den Kirchen eng vertraut; er wird in seinem Künstlerleben mit religiöser Grundhaltung diesen Bezug nie vergessen oder gar verleugnen. Besonders die sich in Schüben wandelnde Darstellung von Köpfen über die Jahrzehnte macht dies deutlich. Die expressiven aus der Zeit des „Blauen Reiter“ um 1911 verknappen sich zu einer konstruktiven Bildsprache, befreien sich von Symbolismen oder erzählerischen Momenten und finden zu regelrechten Bildschemata, die Jawlensky ständig weiterentwickelt. „ In seiner bildnerischen Strategie tritt an die Stelle von ‚Synthese‘ ein Bemühen um Entmaterialisierung, die dazu führt, alle Sinnenhaftigkeit und Emotionalität immer weiter zurückzunehmen. Jawlensky geht es schließlich um Transzendierung der Realität (...) in dem er von sinnlichen Gegebenheiten abstrahiert und zu statischen Figurationen vordringt, die nur noch Geistiges und Seelisches zum Ausdruck bringen sollen“ (Armin Zweite: Jawlensky in München, in: Katalog Alexej Jawlensky 1864 – 1941, München 1983, S. 65).

Dies endet in den dreißiger Jahren mit den kleinformatigen „Meditationen“, für die er sich ab 1929 wegen seiner schmerzvollen Arthritis in Armen und Händen eine neue Maltechnik ausdachte, die zu den charakteristischen senkrecht strukturierten Köpfen führte: er musste mit beiden Händen den Pinsel führen. „Meine letzte Periode meiner Arbeit hat ganz kleine Formate, aber die Bilder sind noch tiefer und geistiger, nur mit der Farbe gesprochen“, schreibt Jawlensky 1938 selbst.

Parallel zur Verschärfung seines eigenen schmerzvollen Leidensweges, also nicht von ungefähr, konzentriert er sich in diesen Serien seiner „ Meditationen“ (in den Jahren 1935 bis 1937 entstanden 1052 Arbeiten!) auf das Christus-Antlitz, das er in endlosen Variationen „wie ein Besessener“ – so er selbst über sich – umkreist. Es war hier also die grundlegende Abweichung vom Kanon des „Christus nicht von Menschenhand gemalt“ der Ostkirche zu verzeichnen, vom Urtypus Christi, vom Vera Icon, der die Ikonenmalerei bestimmt und gerade nicht von grundlegenden Variationen lebt (vgl. dazu Katharina Schmidt: Das Prinzip der offenen Serie. Zu Jawlenskys Werk von 1914 – 1917, im o.g. Katalog, besonders S. 97 – 99).

Grundstrukturen, wie sie die Köpfe gliedern, finden sich bereits in den „Mystischen Köpfen“ um 1917, in den „Heilandsgesichten“ um 1920 und vor allem auch in den „Abstrakten Köpfen“, deren „Urform“ Jawlensky bereits 1918 konstruiert. So sehr sich in den „Meditationen“ die Farbigkeit und der jeweilige malerische Duktus unterscheiden, so konstant ist die Aufteilung des Gesichts: Die kreuzförmigen, schweren schwarzen Balken bilden Nase, links und rechts die Augen mit den Brauenschwüngen darüber und unten den Mund. Schließlich das meist hell leuchtende Weisheitszeichen an der Nasenwurzel, das den meditativ-religiösen Charakter der Bilder zusätzlich betont.

Es ist überliefert, dass Jawlensky an mehreren Bildern zugleich arbeitete und am Ende sich gewissermaßen vor einer kleinen Ikonostasis befand. Ein weiteres Indiz für die Eingebundenheit des Malers in die heimatliche Tradition, trotz aller Modernität seiner Kunst. In seinen Lebenserinnerungen betont Jawlensky dies 1939 noch ausdrücklich: „Jeder Künstler arbeitet in einer Tradition. Ich bin geborener Russe. Meiner russischen Seele war immer nahe die altrussische Kunst, die russischen Ikonen, die byzantinische Kunst, die Mosaiken von Ravenna, Venedig, Rom und die romanische Kunst. Alle diese Künste hatten meine Seele immer in eine heilige Vibration gebracht, da ich dort eine tiefe geistige Sprache fühlte. Diese Kunst war meine Tradition.“ (Wiedergegeben bei Clemens Weiler: A.J., Köpfe, Gesichte, Meditationen, Hanau 1970, S. 13). Die Sprünge in dieser Konfrontation könnten größer nicht sein: zeitlich und vom spirituellen Umfeld aus gesehen. Der Abstand zu den Arbeiten von Edda Jachens im Blick auf die Ikonen scheint ein viel größerer zu sein als der Jawlenskys. Dieses Empfinden lenkt unmittelbar auf die Haupt-Überlegung zurück, trotz größter formaler Unterschiede in den Kunstformen nach Resten eines möglichen geistigen Bandes, einer Verbundenheit zu suchen.

Hatten sich die Vermittlungsinhalte der Ikonenmalerei, kirchlich gebunden, an die legenden-untermauerte tradierte Figürlichkeit gehalten, so löste sich die autonome Moderne schrittweise vom Abbild gemäß ihrem Funktionswandel in der bürgerlichen Gesellschaft. Das naturwissenschaftlich umgestürzte Weltbild wurde in der Kunst neu zusammengesetzt mittels Abstraktion und Konstruktion. Bereits Kandinsky bewegte sich da auf einer eher mystischen Ebene in der Erklärung über „Das Geistige in der Kunst“ (1910). Mit der Konkreten Kunst waren zum Teil sozialutopische Gesellschaftsvorstellungen verbunden (Mondrian, van Doesburg, De Stijl, auch Malewitsch), aber auch die Rückführung auf die von jedweder Mystik und Symbolik befreite Wahrnehmung der geometrischen Konstruktionen.

Edda Jachens zeigt uns mit ihren konkreten Bildern eine ungewöhnliche Variante dieser doch scheinbar so auf die mathematisch-geometrischen Grundelemente Quadrat, Rechteck, Kreis, Zylinder fixierten Kunst. Zwar verwendet sie diese, aber sie überzieht diese dann in einem speziellen technischen Verfahren mit einer Paraffin-Schicht. Ähnlich wie Filz und Fett bei Beuys entsprang die Entdeckung dieses wachsähnlichen Materials einer medizinischen Heilbehandlung und wurde zum künstlerischen Mittel mit ganz eigener Funktion. Denn der optische Effekt des Paraffins „verunklärt“ die konkrete Präzision der darunter nunmehr eher nur durchscheinenden Figuration. Damit geschieht etwas, das ich „die Weiterentwicklung der Konkreten Kunst“ nenne: Die strikte Formel im „Manifest der konkreten Kunst“, 1930 unter Federführung von van Doesburg veröffentlicht, wird hier aufgebrochen. Zwar wird die Forderung noch erfüllt „Das Gemälde sollte vollständig aus rein plastischen Elementen konstruiert sein, das heißt aus Flächen und Farben“. Der zweite Absatz des dritten Punktes im Manifest wird jedoch überwunden: „Ein bildnerisches Element hat keine andere Bedeutung, die über es hinausginge, infolgedessen hat das Gemälde keine andere Bedeutung als es selbst“ (abgedruckt in W. Asholt/W. Fähnders: Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (1909–1938), Stuttgart/Weimar 1995, S. 396). Denn die verwendeten Materialien und die Formen mit der Farbwahl sind nicht diese objektivierbaren Elemente von einst, sondern rufen im Betrachter ganz ausgewählte, von der Künstlerin kalkulierte Reaktionen psychischer Art hervor. Auch die Farbpsychologie ist inzwischen fortgeschritten, und der durch das Paraffin erzeugte optische Effekt lässt uns zwischen der Nähe und der Ferne des Bildinhalts oszillieren. Äußere Merkmale wie die kleinen Formate, Bildtitel wie „Heilige“, „Meditation I und II“ oder früher „Ikonen“ verweisen ab und an auf die Herkunft der Ideen in der Bildorganisation. Es ist nicht wichtig, akribisch derlei Ableitungen nachzuspüren. Wichtig ist nur die spirituelle Ebene, der Gleichklang im Meditativen, das Sichtbare transzendierend über unsere alltägliche kognitive Erfassbarkeit hinauszuheben, wie Jawlensky es uns eindringlich künstlerisch vorgelebt hatte. Edda Jachens gelingt dies gleichermaßen, seit geraumer Zeit.

 

Ingo Bartsch

 

© Edda Jachens