KLARHEIT UND AHNUNG
Über die neuen Bildtafeln von Edda Jachens
Wachs ist kein kostbarer Stoff, aber es kann kostbar und feierlich zum Einsatz gelangen. Durch das Wachs hindurch scheinen Edda Jachens einfache Quadrate, durch das Wachs scheinen sie erwärmt. Es mildert die nüchterne Ordnung der Zeichen, und es läßt sie schweben - wie der Zauberspruch des Märchens den unscheinbaren Teppich in die Lüfte erhebt. Hinter dem Schleier steht nicht der schwarze Wald und schweiget, doch der Effekt des weißen Nebels wunderbar wirkt wie im bekannten Lied.
Wachs ist zerbrechlich, kann aber repariert werden. Über seine Verwendung in der jüngeren Kunst muß hier nicht referiert werden, das führte nur beiseite. Edda Jachens ist der Charakter des Materials weniger symbolisch wichtig, sondern mit seinen taktilen und psychischen Eigenschaften. Wachs fühlt sich auch im festen Zustand weich an, es läßt sich erwärmt formen und wirkt auch kalt noch warm. Sein Glanz ist nicht heroisch, sondern verhalten, innerlicht. Helles Wachs agiert nicht äußerlich, wie ein Spiegel, sondern speichert Licht.
Das Wachs kommt auf die Tafeln als zweiter Gang, als Veredlung der Farbordnung, die freilich nur daraufhin geplant ist. Die Tafeln werden grundiert, mit dem Motiv in der Mitte versehen; anschließend noch einmal mit Harz vorbehandelt. Der Guß der etwa vier Millimeter dicken Schicht erfolgt in zwei Schritten, technisch bedingt. Dabei gilt es, die zweite Schicht der ersten noch im letzten Fluß vor deren Härtung einzuschmelzen. Der abschließende Schliff - nur an den Kanten - vollendet eine samtige, milchige, Vorsicht gebietende Schicht oder Scheibe.
Die Bildtafeln sind überwiegend hell, in ihrer Mitte tragen sie unter dem Paraffin das farbige, in sich geteilte Viereck. Das Wachs verhüllt die flächige Form und läßt sie gleichzeitig aufscheinen. Faszinierend schmiegt es sich der Farbfläche an. Man gewahrt keine Trennung zwischen Wachs und Grund. Es verbirgt durch die Lichtbrechung der Farben den Umstand, daß seine Scheibe die Tafel genau besehen nur beschichtet. Doch weil die Kanten der Farbstreifen, durch das Wachs hindurch gesehen, verschwimmen, ist deren Anfang und Ende verunklart. Die Farbschicht verschmilzt also anscheinend mit dem Wachs. Damit verlängert sich die räumliche Wirkung, die mit jeder Farbkombination entsteht, in das Wachs hinein und kommt dort zur Ruhe. Sie ist aufgenommen, aufgehoben im übertragenen Sinn. Das Wachs besänftigt alles in seinem weichen Schleier.
Dieses bewährte Motiv läßt aufmerken. Beides, Verschleiern und Entschleiern, gilt höchsten und gründlichsten Dingen, von göttlicher Ahnung bis zu erotischer Erscheinung. Die so magischen wie alltäglichen Operationen sind Ergebnisse ewig alter Erfahrungen. Dem Wissen-Wollen, Haben Wollen sind Hindernisse gesetzt. Man muß den Nebel durchschreiten, den Schleier zerreißen (wofür man auch bestraft werden kann) und so weiter. Ist der Vorhang halb durchlässig, lockt die Verhüllung mehr, als sie abwehrt.
Edda Jachens will in keinen Tempel locken, sie wendet die Methode in vollkommener Einfachheit an. Im Wachs ist das, was zittern könnte, geronnen. Was da aufscheint, liegt ja inmitten einer viel größeren Fläche, die es ausgreifend umrahmt. Die weite Oberfläche setzt zudem eine griffige Grenze. Aber das, was da sichtbar wird, bleibt immer präsent; verwandelt, erwärmt, schimmernd verschwommen, schwebend verschönt.
Die künstlerische Substanz der neuen Arbeiten von Edda Jachens liegt nun gerade in der Summe der beiden Vorgänge, die zu den Bildtafeln führen: in deren Verschmelzung aus Wachs und Farbgestalt. Die Methoden, der Charakter der Tätigkeit, mit der einerseits das Wachs angebracht wird, andererseits die Farbgestalt entsteht, charakterisieren die Ergebnisse zusätzlich.
Die Farbgestalt stimmt mit Farbtönen und -werten in den weichen Klang des Wachses ein. Bis auf Ausnahmen ist die Zahl der Farben eingeschränkt. Die Tafeln insgesamt als äußere, größere Quadrate sind meist hell, oft weiß. Das mittige kleine Quadrat teilt sich dann zwei Farben, klar und gebrochen, hell und dunkel, licht und gesättigt. Das kann stumpfes, aber sattes Rot und lichtes, dünnes Grün sein oder die Kombination aus kühlem Blau und gebrochenem Braun, aus blassem und stumpfen Gelb.
Ausschlaggebend für die ganze Arbeit ist nun, wie das mittige Quadrat innerhalb der Serie differenziert wird. Selbstverständlich ist es immer gleich groß. Auf den Bildtafeln 80 x 80 cm (nicht im Katalog) mißt es 20 cm, bei 60 x 60 mindert sich das Binnenquadrat auf 15 x 15. Edda Jachens versichert glaubhaft, die Maße zwar gemessen zu haben, doch der Anschauung gehorchend. Zu den genauen Zahlen ist sie gekommen, weil das gesehene Maß exakte Teilung verlangte, und Dezimalien lassen sich nun einmal besser messen.
Das Binnenquadrat erfährt verschiedenste Teilung. Einzelne Arbeiten wecken den Verdacht, sie wollten der legendäre Huldigung an das Quadrat nun ihrerseits huldigen, doch das ist nicht beabsichtigt. Wenn einzelne Arbeiten an Josef Albers (und andere) erinnern, so resultiert das zwangsläufig aus der Begrenztheit der Wahrnehmung, wenn man mit elementaren Formen arbeitet; die verkleinernde Parallelisierung eines Quadrats ist zwar durch Albers besetzt, dadurch aber als Formproblem nicht aus der Welt.
Der Systematik der Farbgestalt in Edda Jachens Wachstafeln kommt man am besten auf die Spur, wenn man das Verhältnis untersucht, in dem die beiden Farb-Flächen im kleinen Quadrat zueinander stehen. Es beträgt bei den Tafeln mit den Zeichen 2:3 oder 3:2. Der Flächenteilung ist zwar ein 5er-Raster unterlegt, doch Edda Jachens Ansatz ist auch hier bildlich. Sie entwirft im Quadrat lediglich mit der Absicht, Farbvariationen herzustellen, ihre Zeichen (die freilich im Wortsinne nichts bezeichnen). Es enstehen zum Beispiel Tore und Formen, die den Buchstaben E und U ähneln. Edda Jachens konstruiert also nicht, aber sie verändert innerhalb eines festgesetzten Kanons. In jeder Variante teilen sich die zwei Farben die Fläche im Verhältnis zwei zu drei. Dieses klassische Harmoniemaß im Längenverhältnis wägt hier also die Flächen ab. Die kleinste Teilfläche als Berechnungsgrundlage beträgt jeweils ein fünfundzwanzigstel des Quadrats. Die Zahl der Kombinationsmöglichkeiten ist jedoch beschränkt durch die Anschaulichkeit: Bedingung ist, daß ein Zeichen aus zwei Farbflächen entsteht.
Edda Jachens Variation der Teilung eines Quadrats verlangt natürlich Max Bill zu nennen. Ihr Vorgehen ist genauso anschaulich und rational wie das des Schweizers. Es kommt die Erörterung hinzu, auch das hat Bill exerziert, ob oder wie durch rationale Operationen, wenngleich anschaulich probiert, Schönheit entsteht - hier im Maßverhältnis gegeben. Die nächste Option allerdings trennt die beiden Künstler entschieden. Bei Bill genießt man gerade das logische Verstehen seiner Raffinessen. Schönheit einer Formel aber ist nichts für Edda Jachens.
Was hier anhand der Serie erörtert wurde, gilt auch für einzelne Tafeln, die pur dem bildnerischen Impuls folgen. Wenn die Künstlerin von einer vertikal zweigeteilten Ikone, einer Deesis mit zwei Personen, angeregt ist und deren Ordnung in ein vertikales Duo übersetzt, in Rot und tiefdunkles Blau, dann hat sie damit doch recht radikal abstrahiert - also auf ein geometrisches Muster reduziert. Das Wachs wird auch daran einiges verändern.
Zwar ist in ihren Quadraten die Logik einer Flächenteilung maßgebend. Bevor sich der Schleier des Wachses mit der Farbgestalt verbindet, ist die kleine Fläche und das Maß der Tafel klar geordnet. Hier behaupten sich Ordnung und Exaktheit, Dinge, denen man den Grund messen kann. Hier kann man wissen. Doch damit ist die Arbeit nicht vollbracht, denn das allein ist Edda Jachens zu offenbar, zu sehr ab-lesbar. Deshalb verschmilzt sie das Rationale mit dem Schleier. Der weiße Nebel wunderbar distanziert die harten Kanten schlagender Logik. Der Hauch des nur Geahnten überfängt das Deutliche, Klare. Doch im Ergebnis, in den Bildtafeln als Objekte - kommen Logik und schleiernder Traum zusammen und bleiben verbunden.
Der Charakter der Bildtafeln wird noch deutlicher, wenn man sich die Arbeitsgänge vorstellt: vom Entwerfen des Zeichens, dem Messen, Teilen der Flächen bis zum Erhitzen des Wachses, seinem Guß, seiner Nachbehandlung. Auch die Weise des Umgangs mit dem Material trennt die Tätigkeiten: zunächst mißt eine Skala eine Fläche, eine abstrakte Handhabung erfolgt, anschließend wird ein Stoff, eine Substanz in eine Form gebracht, die sich der Abstraktion auflegt.
So formulieren die Bildtafeln nicht weniger als die Spanne des menschlichen Tuns, einen Spagat - eine Verbindung - zwischen Wissen und Glauben, zwischen Denken, Entwerfen und Handeln, zwischen Analyse und Verschönerung.
Meinhard Michael
CLARITY AND SEMBLANCE
The New Tableaus of Edda Jachens
Wax is an unpresuming and commonplace material. Nonetheless, it can transform simple rectangular surfaces into precious and mysterious beings. Solemnly transformed, Edda Jachens’ painted squares shine through the translucent coating. The wax warms the shapes, makes them float, envelops them like the shimmering veil that can be summoned by a magic spell in a well-known fairy tale. Strangely, however, the wax does not conceal what it covers, it reveals and exposes it.
Wax is brittle but it can also be molded, and it has many other interesting properties to be artistically explored. Yet, Edda Jachens is not worried about these physical properties or their symbolic significance. Instead, her prime concern are the tactile and psychological sensations that the material relays. Wax feels smooth and subtle even when solid, and when heated we can sculpt it. After it cools down, it still feels warm. And just as it stores and preserves heat it also captures light. This internalized light has a soft and true quality as opposed to the harsh and heroic glitter that would be produced by surface reflections and specularities.
Although its visual qualities are primary, in the production process the wax comes last. The artist first primes the tableaus, then she paints the motif and resin coats the whole surface. The coating, which is about 4 millimeters thick and consists of paraffin, is applied in two steps that have to be precisely timed. The first layer must not be fully hardened before the second is added. The final polish of the edges completes the delicate coating and perfects its impression of velvety translucence.
The tableaus are predominantly white painted surfaces featuring in their center and underneath the paraffin a bi-coloric square. The wax conceals this square and at the same time makes it gleam. The wax fascinatingly merges with the square object dissolving the boundary between color and surface. The solemn and smooth dispersion of light hides the fact that the square is strictly speaking only coated. The apparent fusion of color and wax is produced by the blurring of all edges. No longer can a point be marked where one color ends and the surround starts. The spatial effect of all color contrast is extended into the wax and it is only in its veil that it comes to rest. Space is preserved and elevated in this cushioning veil.
The veil analogy lends itself perfectly. Both veiling and unveiling refer to the pristine from divine intuition to erotic apparition. They also refer to magic. The veil covers and discovers ancient tales and experiences. No knowledge can be reaped without lifting the veil, and the lifting is often forbidden or dangerous, etc. When the veil is translucent instead of opaque it acts more like a lure and less as a cover.
Edda Jachens does not want to lure us into a covered temple. She applies the method of pervious veiling. The veil bestows a trembling or floating quality to the shape, which is at the same time calmed and steadied in the wax. It is also steadied by virtue of being set in a larger frame, which also provides a haptic boundary. Thus, the object always remains present, albeit metamorphosed, misty, and beautified.
The coalescence of wax and coloric shape constitutes the artistic substance of the new works of Edda Jachens. The techniques involved in creating the painted object on the one hand and the wax coating on the other hand are vastly different, but they unite to form the characteristic flair of the resulting artwork.
The coloric shape resonates in hue and chroma with the soft aura of the wax. Bar a few exceptions, the number of hues is limited. The tableau surfaces are mostly square in shape. On the majority of tableaus the background is colored white while the painted subject matter is a square divided into two hues of the same color or into bi-coloric matches of dark-light, clear-diffuse, and bland-saturated. These colors are combinations of red and light green, cold blue and velvety brown, or two shades of yellow.
Each series of tableaus hinges on how the interior square object is differentiated. It always has the same relative size. Thus, for the 80 cm x 80 cm tableau the object measures 20 x 20 (not featured in the catalog) and for the 60 x 60 tableau it measures 15 x 15. Edda Jachens ensures us that, while having measured the squares, she intuited the size ratios solely following her perception of equilibrium.
The center square is subdivided in a strict manner. Some works even raise the suspicion that they intend to worship the square and squareness, but this is not the case. Although some works are reminiscent of Josef Albers’ variations on minimizing the square, the constraints imposed by the simplicity of the form may evoke this parallel.
A look at the relationship between the two surfaces making up the center square reveals the systematicity in Edda Jachens’ paraffin tableaus. Those works featuring symbols are based on a 5-by-5 grid and the two areas always obey a 3 : 2 or a 2 : 3 ratio. This also is the outcome of Edda Jachens’ perceptual approach. She designs her symbol-like objects, which of course do not symbolize anything, with the sole intention to express her intuited images. The resulting gates or letter shapes resembling Es or Us are not constructed to convey conventional meaning but they express, within the self-imposed perceptual constraints, archaic and intuitive meaning. Within each variation, the coloration divides the area according to the classical measure of 2 : 3, which is here applied to area. The sub-areas making up the shapes correspond exactly to 1/25th of the entire surface of the interior square. The number of valid permutations, however, is largely constrained by the demand that an aesthetic object emerge from the joined sub-areas using only two colors.
Swiss artist Max Bill comes to mind when viewing Edda Jachens’ variations on subdividing the square. Her approach is just as intuitive and rational as his. The works of both probe into the question of how beauty originates from rational operations, albeit Bill’s path is that of abstraction. The next operation decisively distinguishes the two artists: we appreciate the logical penetration of Bill’s finesse while in Edda Jachens’ eyes such a formula possesses no beauty.
What we have said about the whole set of works also holds true for individual tableaus that purely follow the artistic impulse. Sometimes, the artist appears inspired by a vertically doubled iconic representation of two persons, which looks like a radical abstraction. Only a geometric pattern of bi-coloric red and deep blue remains. And the wax will modify this again.
The waxen veil fusing with the coloric shape prevents the logical partitioning from ruling the quadrants and from imposing order onto the sub-areas. Order, exactness, and objecthood that can be measured and understood are too superficial for Edda Jachens’ purposes. Her artwork is only complete after she has merged the rational and the veil, after the wondrous white mist renders distant the tough edges of logic. The fog of semblance envelops the clear and distinct, but the resulting tableaus in their objectivity preserve both the object and the veiling dream.
When imaging the work process, the character of the tableaus becomes even clearer: designing the symbol, measuring and partitioning the sub-areas, then the melting and pouring of the paraffin, and the final polish. In this process, the artist first measures and abstracts the form to then cover the product of abstraction with substance.
The tableaus thus reflect the condition of human action, they formulate and at the same time bridge the gap between knowledge and faith, between planning and execution, between analysis and beautification.
Meinhard Michael
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